Scheinflughäfen und alliierte Aufklärung

Der Scheinflughafen Sevelen-Vorst

Schon vor Kriegsbeginn wurde nordwestlich des Amtes (Gemeinde) Sevelen ein Scheinflughafen (S-Hafen) in der Vorster Heide errichtet. Mit seiner Grundfläche war er größer als das Start- und Landefeld des Bönninghardter Flughafengeländes. Im Osten war das Gelände begrenzt durch den Kroepgatsweg, im Süden durch die Landwehr, im Westen durch den Eckesdyck, im Norden hauptsächlich durch den Marktweg.

Das Gelände des Scheinflughafens "Bucht Regensburg" nordwestlich von Sevelen. Oben rechts erkennt man die Kiesbaggerei Welbers.

Im nordwestlichen Bereich waren hölzerne Flugzeugattrappen abgestellt, die natürlich das Interesse der Jugendlichen von den benachbarten Bauernhöfen auf sich zogen, welche bisweilen darin Probe saßen. Unmittelbar südlich des Klaesdyck waren drei Waldstreifen in U-Form angepflanzt, die z. T. mit Tarnnetzen abgedeckt eine Art Gebäudeansammlung darstellten. Vermutlich erhielt diese Anlage die Tarnbezeichnung „Bucht Regensburg". Ein hölzernes Dreieck westlich des Klaesdyck war mit Blinklampen versehen und täuschte beim Anflug von - nicht nur feindlichen - Bombern nach Eintreten der Dämmerung Start- und Landebetrieb vor. Längs des Klaesdyck war eine Start- und Landebahn angedeutet. Es wurden mindestens zwei Baracken errichtet, in denen das Platzkommando (am Eckesdyck) sowie ein Gefechtsstand untergebracht waren. Dieser Gefechtsstand (am Waldstreifen bei der Landebahn) war mit einem einzigen Maschinengewehr besetzt, welches bei Annäherung feindlicher Flugzeuge mit Leuchtspurmunition feuerte, um ein schützenswertes Objekt vorzutäuschen und sie zum Abwurf der Bombenlast zu verleiten. Die häufigen Abwürfe auf das Gelände belegten, daß der S-Hafen seine Funktion vollauf erfüllte. Oft kam es auch vor, daß alliierte Besatzungen, die ihr Angriffsziel nicht erreicht hatten, ihre Bombenlast auf dem Rückflug kurz vor Erreichen der niederländischen Grenze willkürlich ins freie Feld fallen ließen. Im August 1940 verfuhr scheinbar auch eine irregeleitete deutsche Bomberbesatzung auf diese Art und Weise. Hauptwachtmeister Eickmans, Leiter der Ortspolizei, hat die zahlreichen Vorfälle akribisch festgehalten:

Der S-Hafen in Vorst war nicht die einzige bauliche Anlage im Bereich von Sevelen und Issum, welche Flugzeugbesatzungen zum Bombenabwurf veranlaßte. Auch die neue Issumer Umgehungsstraße, die Ende Januar 1941 fertiggestellt worden war, um den Ortskern vom Durchgangsverkehr zu entlasten, stellte wegen ihrer hellen Betonfahrbahn bei Nacht eine Gefahr für die Zivilbevölkerung dar, wie ein Schreiben des damaligen Issumer Bürgermeisters an den Landrat des Kreises Geldern beweist.

Offenbar waren Gelände für S-Häfen nicht im Eigentum des Staates, wie dies bei aktiven Fliegerhorsten der Fall war. Die landwirtschaftlichen Arbeiten auf dem Bönninghardter Flugplatz (z. B. Kurzhalten der Grasnarbe) erledigte ein Platzlandwirt, der Angehöriger der Wehrmacht war. Die Flächen innerhalb des Sevelener Scheinflughafens wurden dagegen weiterhin von ihren privaten Eigentümern bzw. Pächtern bewirtschaftet, die aufgetretene Schäden der örtlichen Polizei melden mußten. Das Platzkommando bestand aus Wehrmachtssoldaten; zwei von ihnen hatten ihre ausgebombten Familien in den Baracken des S-Hafens untergebracht. Eine Baracke existiert heute noch und wird bewohnt (s. rechts).

Die alliierte Aufklärung setzte in Westdeutschland erst nach der Landung in der Normandie umfangreich ein. Bis dahin blieben kleinere Einsatzhäfen und S-Häfen weitgehend unbekannt. Wie aus dem US-Dokument hervorgeht, gab es Scheinflughäfen auch in Bislich (wahrscheinlich in der Bauerschaft Schüttwich) und bei Bocholt im heutigen Naturschutzgebiet Große Dingdener Heide.

Nach Angaben von Hauptwachtmeister Eickmans erfüllte der S-Hafen bis März 1941 seine Aufgabe, danach durchschauten die alliierten Bombercrews und Aufklärungsdienste seine Funktion; die Angriffe wurden allmählich eingestellt. Trotzdem blieb er mindestens bis November 1943 in Betrieb.

Zu den Aufgaben der Polizeidienststellen gehörte auch die Sicherstellung alliierter Propaganda.

 

Eine detaillierte alliierte Lagebeschreibung des Bönninghardter Flugplatzes lag aus bereits geschilderten Gründen erst Ende 1944 vor (oben). Unten: Die Bahnlinien waren wegen ihrer Bedeutung für den Transport von Rüstungsgütern aller Art von besonderem Interesse. Auch die Strecke der Köln-Mindener Bahn bei Bönninghardt rückte in den Fokus der Luftaufklärung. Trotzdem wurden beim bekanntesten Angriff auf einen Zug auf der Hei nicht Rüstungsgüter, sondern Zivilisten getroffen. An jenem 30. März 1944 gab es viele Fahrgäste, die den Bönninghardter Bahnhof nur noch tot, mit großen Einschußlöchern von der Flugzeugmunition, erreichten.

Von der Hauptstrecke führte, nahe dem Kreuzungspunkt mit der heutigen Autobahn, ein Gleis mit 60 cm Spurweite zum Westrand des Flugplatzes. Die Aufnahme unten entspricht in etwa der linken Hälfte der mittleren großen Abbildung auf dem "Interpretation Report".

Ausschnitte aus Aufnahmen vom 21. Februar 1945. Oben: Unter- und oberhalb a erkennt man die Überreste von Verladerampen o. ä. Die Y-förmig verlaufenden Pfade neben b sind Trampelpfade oder deuten den Verlauf ehemaliger Gleise an. Die bzw. das Gleis(e) begannen aber spätestens bei c und verliefen parallel zum sog. "Kaninchenweg" d (Verbindungsweg zwischen Issumer Weg und Hoerstgener Weg).

Links und rechts neben 1 erkennt man deutlich die Endpunkte der Schmalspurgleise, bei 2 erkennt man heute noch den Verladeplatz anhand einer ins Feld ragenden Asphaltfläche. Auch der Weg 3 existiert heute noch, nunmehr mitten im Feld. Er gehört offenbar dem Rechtsnachfolger der damaligen Liegenschaftsverwaltung der Luftwaffe und wird nicht umgepflügt.

 

 

Aufnahme des "entlegenen" Abstellbereichs am Rand der Leucht: Bei a sind die Umrisse des getarnten Abstellplatzes für Nachtjäger zu erkennen. Eine eigens hergerichtete Rollbahn b führt von dort über die B 58 (am linken Bildrand) hinweg bis zum südlichen Abstellbereich (bei der Kiesgrube, nicht im Bild). Das Waldstück c existiert in dieser Form heute noch und beherbergte in seinem rechten Teil offenbar Betriebsstoff- oder Munitionsbehälter.

 

 

 

 

 

 

Dieser Ausschnitt entstand etwas weiter südlich. Bei c der heutige Jugendzeltplatz am Waldweg d. Im Waldstück b sind ebenfalls Stellplätze größerer Behälter sichtbar. Die Linie von a nach a markiert in etwa die südöstliche Grenze des Flughafengeländes. Anfang 1998 wurden dort in einer bemerkenswerten räumlichen Anordnung Bäume gepflanzt.

 

 

 

 

 

 

 

Ein unidentifizierter Turm (rund und massiv) am Waldrand der Leucht. Von links unten erstreckt sich der Rennweg, der am linken Bildrand in den Waldweg mündet.

weiter...